Was drin ist aber nicht drauf steht

Ein Streifzug durch die Welt der Zusatzstoffe, Enzyme und Verarbeitungshilfsstoffe


Die aktuellen Lebensmittelskandale um Pferdefleisch und Bio-Eier führen vor Augen, dass in der Verpackung nicht immer das enthalten ist, was drauf steht. Aber auch jenseits der Skandale erfahren Verbraucher beim Einkaufen im Supermarkt nicht unbedingt das, was für sie von Interesse ist. Was steckt dahinter, wenn die Industrie statt E-Nummern zu „natürlich“ klingenden Stoffen übergeht? Was bedeutet es für den Verbraucher, wenn die sogenannten Verarbeitungshilfsstoffe erst gar nicht gekennzeichnet werden? Und ist es möglich, beim Einkauf konsequent auf tierische Erzeugnisse und Gentechnik im Herstellungsprozess zu verzichten?


Regale voller Fertigprodukte. Was steckt drin?

„Ich lese mir schon des öfteren die Zutatenliste durch. Und eigentlich vermeide ich Produkte, bei denen die Liste ewig lang ist.“, sagt Lisa Sonnenburg, während sie mit ihrem Einkaufswagen durch den Supermarkt schlendert. Die 27-jährige bezeichnet sich selbst als gesundheitsbewusst. „Trotzdem greife ich auch gerne mal zu Keksen oder Chips, weil die so gut schmecken.“
Gesundheitsschädlich sind die rund 300 Zusatzstoffe auf dem Markt nicht. Das zumindest besagen die toxikologischen Tests, die sie durchlaufen müssen, bevor sie zugelassen werden. Hierzu muss der Hersteller die entsprechenden Untersuchungen durchführen lassen. Die Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) prüft dann lediglich die Daten und entscheidet über eine EU-weite Zulassung. In Deutschland ist es das Bundesinstitut für Risikobewertung, das mit der EFSA zusammenarbeitet.
Rainer Gürtler, Geschäftsführer der Kommission für Lebensmittelzusatzstoffe, Aromastoffe und Verarbeitungshilfsstoffe des Bundesinstituts für Risikobewertung, hält dieses Vorgehen für zuverlässig: „Die toxikologischen Prüfungen werden mit standardisierten Prüfverfahren von Laboren durchgeführt, die bestimmten Qualitätsstandards entsprechen müssen. Es gibt internationale Richtlinien für die Prüfverfahren und Qualitätskriterien, die eingehalten werden müssen.“ Der Lebensmittelchemiker Hasan Taschan weist jedoch darauf hin: „Es kann auch Fälle geben, bei denen im Nachhinein Bedenken auftauchen. Beim Süßstoff Aspartam zum Beispiel gibt es Hinweise für den Zusammenhang mit Gehirntumoren aber keine Beweise.“

Die Zutatenliste muss alle Zusatzstoffe aufführen, die in dem Lebensmittel eine bestimmte Wirkung entfalten. Darunter fällt zum Beispiel das Verdickungsmittel Carageen in der Sahne. Gelangt diese Sahne nun in den Rahmspinat, so steht auf dessen Verpackung lediglich, dass Sahne darin enthalten ist, das Verdickungsmittel in der Sahne ist nicht mehr kennzeichnungspflichtig, weil es im Spinat nicht mehr verdickend wirkt.

Weniger Chemie mit der „Clean-Labeling Strategie“?


„Ob die Vorbehalte nun berechtigt sind oder nicht, die E-Nummern, die jeder Zusatzstoff trägt, sind bei Verbrauchern unbeliebt. Chemie verkauft sich nicht gut“, sagt Lothar Kipper, Leiter des Fachgebietes Tierische Lebensmittel beim Hessischen Landeslabor.
Die Lebensmittelindustrie ist in den letzten Jahren vermehrt zum „Clean Labeling“ übergegangen: Sie ersetzt chemische Bezeichnungen und E-Nummern durch Angaben, die natürlich klingen. So zum Beispiel die Pökelsalze Nitrit und Nitrat. In Fleischwaren werden sie als Konservierungsstoff eingesetzt. Einige Lebensmittelhersteller setzen statt ihnen Gemüsepulver ein. „Dieses Gemüsepulver hat einen hohen Nitratanteil“, sagt Lothar Kippper, „so kann der Verbraucher unter dem Mäntelchen natürlicher Erzeugnisse die gleichen chemischen Stoffe untergeschoben bekommen.“ Er halte das für Verbrauchertäuschung. Auch das gesundheitliche Risiko bleibt bestehen. Der Körper wandelt Nitrat in Nitrit um und daraus können krebserregende Nitrosamine entstehen. Die Lebensmittelindustrie ringt währenddessen nach ansprechenden Werbebotschaften. Im beschriebenen Fall ist die Bezeichnung „ohne Konservierungsstoffe“ zwar unzulässig, aber mit „ohne Zusatz von Konservierungsstoffen“ darf geworben werden.

Auch Milcheiweiße sind sehr beliebt, denn isoliert und aufkonzentriert können sie je nach Zusammensetzung als Verdickungsmittel, Emulgator, Schaummittel, Konservierungsstoff oder Fettersatz wirken. All das verbirgt sich hinter Kennzeichnungen wie „Molkeerzeugnis“, „Milcheiweiß“ oder „Trockenmilcherzeugnis“. Der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer sieht das in seinem Buch „Food Design – Panschen erlaubt“ kritisch: „Wenn … man in einem Teelöffel den Extrakt aus 10000 Litern Milch enthält, kann das Ganze wie der Inhalt eines Tablettenröllchens wirken. Der Kunde speist einen Cocktail mit potenzieller medizinischer Wirkung.“
Ab wann eine Zutat ein Zusatzstoff ist und wann es sich lediglich um eine nicht zulassungspflichtige Lebensmittelzutat handelt, ist eine Frage des Lebensmittelrechts. Hier gilt die EU-Basisverordnung, die einen Zusatzstoff als solchen definiert, der nicht als Lebensmittel verzehrt, sondern dem Lebensmittel aus technologischen Gründen zugesetzt wird. Milcheiweiß gilt als Zutat, nicht als Zusatzstoff. Ausgenommen aus den Zusatzstoffen sind nämlich jene, die dem Lebensmittel aus ernährungsphysiologischen Gründen zugesetzt werden. „Darauf kann sich die Industrie immer beziehen“, sagt der Lebensmittelchemiker Hasan Taschan. „Ich würde es als offenes Geheimnis bezeichnen: Beta Carotin wird als Farbstoff verwendet, Vitamin C zur Konservierung aber die Hersteller sagen, dass sie ein vitaminisiertes Lebensmittel herstellen. Damit erfüllen sie die gesetzlichen Vorschriften und können statt Farbstoff oder Konservierungsstoff Vitamin A und Vitamin C schreiben.“

Lisa Sonnenburg, die selbst Ernährungswissenschaften studiert, greift zu den Fruchtgummis. Sie gesteht sich ein: „Also das mit dem Clean Labeling wirkt schon irgendwie. Es liest sich auf jeden Fall besser, wenn auf der Packung etwas von färbenden Frucht- und Pflanzenextrakten steht anstatt E124 und E132.“

Was gar nicht erst auf den Teller kommt, oder doch?


Verarbeitungshilfsstoffe müssen erst gar nicht deklariert werden, da die Hersteller und Gesetzgeber davon ausgehen, dass so gut wie keine Rückstände im Lebensmittel verbleiben. Sie kommen aus technologischen Gründen bei der Be- und Verarbeitung zum Einsatz. Hierunter fallen zum Beispiel Extraktionsmittel für Olivenöl oder Gelatine, mithilfe derer trübe Säfte geklärt werden. Unbeabsichtigte und unvermeidbare Rückstände müssen gesundheitlich unbedenklich sein – so heißt es im Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch. Und dafür hat der Hersteller zu sorgen. Toxikologische Zulassungsverfahren müssen diese Stoffe nicht durchlaufen.

Für Lisa Sonnenburg, die seit knapp zwei Jahren konsequent auf Fleisch und Milchprodukte verzichtet, sind diese Stoffe von besonderem Interesse: „Ich ernähre mich vegan, und wenn ich mir einen Saft kaufe, dann möchte ich nicht, dass er mit Gelatine, also einem tierischen Produkt, behandelt wurde. Auf der Verpackung steht aber nichts davon drauf.“

Doch auch wenn die Stoffe als unbedenklich gelten, sollte der Verbraucher nicht trotzdem von ihnen erfahren? Lebensmittelchemiker Hasan Taschan befürwortet eine Kennzeichnung mit Blick auf das Kaltentkeimungsmittel Dimethyldicarbonat, das unter dem Handelsnamen Velcorin bekannt ist. Dieser Stoff wird bei der Abfüllung hitzeempfindlicher PET-Flaschen eingesetzt, um bei niedrigen Temperaturen unliebsame Keime abzutöten. In der Ursprungsform ist der Stoff sehr giftig, immerhin handelt es sich um ein Desinfektionsmittel. Dadurch, dass er aber sehr reaktionsfreudig ist, bleiben binnen weniger Stunden nur noch ein paar Reaktionsprodukte übrig, die die EFSA in den gemessenen Konzentrationen nicht als schädlich ansieht. Hasan Taschan: „Meines Erachtens nach ist dieses Velcorin eine Zutat und sollte dementsprechend gekennzeichnet werden. Das ist vergleichbar mit Ascorbinsäure. Die reagiert auch mit anderen Stoffen und existiert dann nicht mehr als Ausgangssubstanz, muss aber trotzdem gekennzeichnet werden.“

Ein anderes Desinfektionsmittel ist Wasserstoffperoxid. Mit ihm werden Lebensmittelverpackungen sterilisiert. Ein klassisches Beispiel sind Tetrapack-Kartons, auf die das Mittel vor der Faltung aufgebracht wird. Mithilfe von UV-Licht zerfallen die Reste der Substanz, bevor das Lebensmittel hinein kommt. „Wenn alles korrekt funktioniert, ist das Verfahren unproblematisch“, sagt Lothar Kipper vom Hessischen Landeslabor. „Nur ganz selten finden wir Rückstände in der Milch, die wir standardmäßig untersuchen. Dann müssen die technischen Prozesse überprüft werden.“

Enzyme, die beliebten kleinen Helfer


Technologische Funktionen erfüllen auch die Enzyme. Eiweiße, die bestimmte Prozesse in Lebensmitteln beschleunigen und vornehmlich durch gentechnisch veränderte Mikroorganismen, nämlich Hefen, Schimmelpilze und Bakterien gewonnen werden. Sie vereinheitlichen bei Backwaren beispielsweise die Konsistenz des Teiges. Auch Käse wird erst zu Käse, nachdem bestimmte Enzyme, meist aus dem Labmagen von Kälbern gewonnen, das Eiweiß gerinnen lassen. Enzyme bieten zudem die Möglichkeit zu konservieren ohne deklariert werden zu müssen. Einige von ihnen wirken nämlich antibiotisch und bekämpfen Keime in Räucherlachs, Fleischwaren oder Fertigsalaten.

Statt Enzymen kann man auch Bakterienkulturen hinzufügen. Milchsäurebakterien beispielsweise senken den pH-Wert in Lebensmitteln, so dass bestimmte Keime in diesem Milieu nicht mehr überleben. Früher sind sie in Form von Verunreinigungen in das Kraut gelangt, das daraufhin zu Sauerkraut wurde, heute werden sie isoliert zugefügt. Formal müssten diese Kulturen in der Zutatenliste aufgeführt werden, doch Lothar Kipper räumt ein: „Ich habe mir mal verschiedene Fertigverpackungen von Rohwurst-Produkten angeschaut. Erzeugnisse aus Frankreich trugen die Aufschrift „Reifekultur“ oder „Starterkultur“, bei den deutschen Produkten stand nichts drauf. Rechtlich betrachtet ist das unzulässig. Aber ich halte das Verfahren für gesundheitlich unbedenklich.“

Bisher unterlagen Enzyme keiner Zulassungs- und Kennzeichnungspflicht. Mit der neuen Enzymverordnung soll sich das ändern. Die EFSA erstellt zur Zeit eine Liste der zugelassenen Enzyme. Diese müssen zukünftig eine ähnliche Zulassung wie Zusatzstoffe durchlaufen. Bis Oktober 2013 haben die Lebensmittelhersteller Zeit, die Unbedenklichkeit mithilfe wissenschaftlicher Daten zu belegen. Auf der Liste wird einsehbar sein, welche Enzyme für welche Lebensmittel zugelassen sind. „Ich begrüße es, dass die EFSA diese Bewertung durchführt“, sagt Hasan Taschan. „Damit wird es auch für Lebensmittelkontrolleure einfacher, sich mit Enzymen auseinanderzusetzen.“ Eine Kennzeichnung wird allerdings nur erforderlich sein, wenn das Enzym im Endprodukt technologisch wirkt, wie das Lysozym, das den Käse konserviert. Nicht jedoch die Proteinasen im Brot, die durch die Hitze im Backofen inaktiviert wurden.

Kaese

Bewusste Konsumentscheidung gegen tierische Stoffe und Gentechnologie?


Lisa Sonnenburg steht vor einem Regal mit Backwaren. „Es ist kaum zu glauben, in wie vielen Produkten tierische Erzeugnisse drin sind, von denen man es gar nicht annehmen würde“, bemängelt die Veganerin. Auf einigen Produkten steht „Butterreinfett“ oder „Volleipulver“ und damit ist klar, dass es sich um tierische Stoffe handelt. Anders ist das bei dem Farbstoff „Cochenille“ oder den „Mono- und Diglyceriden von Speisefettsäuren“. „Ich finde das sehr anstrengend, dass ich bei diesen Bezeichnungen selbst herausfinden muss, woraus sie hergestellt werden. Ich finde das sollte von vornherein drauf stehen“, ärgert sie sich. Abhilfe gibt es, die Kennzeichnung erfolgt allerdings nur auf freiwilliger Basis.

Hersteller können mit den Worten „vegetarisch“ oder „vegan“ ihr Produkt herausstellen. „Diese Aufschriften sind lebensmittelrechtlich aber nicht definiert, man kennt also nicht die Kriterien, die dahinter stehen“, sagt Waltraud Fesser von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz. Sie empfiehlt stattdessen das von der Dachorganisation europäischer Vegetariervereine herausgegebene „V-Label“, denn dafür gelten bestimmte Standards. Demnach darf aus Kälberlab hergestellter Käse, mit Gelatine geklärter Fruchtsaft oder Margarine mit tierischen Fetten dieses Label nicht tragen. Waltraud Fesser: „Für Personen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren, bringt das Siegel auf jeden Fall Zusatzinformationen, die der Zutatenliste nicht zu entnehmen sind.“ Gentechnisch veränderte Produkte dürfen das Siegel auch nicht bekommen.

Mit dem V-Label ist auf den ersten Blick klar: Das Produkt ist vegan.

Aber was ist mit Enzymen, Vitaminen, Zusatzstoffen oder Aromen, die mithilfe gentechnisch veränderter Mikroorganismen hergestellt wurden? Zugesetztes Beta-Carotin, Vitamin C, Milchsäure… all diese Stoffe werden heutzutage hauptsächlich durch gentechnisch veränderte Mikroorganismen gewonnen. Gekennzeichnet werden muss das nicht. Für Personen, die vollständig auf Gentechnik verzichten möchten, gibt es hierfür ein weiteres Siegel vom Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG). Für pflanzliche Lebensmittel gilt ein vollständiges Verbot für gentechnisch veränderte Zutaten oder Zusatzstoffe. Es dürfen auch keine Enzyme, Vitamine oder Aromen verwendet werden, die mithilfe gentechnisch veränderter Mikroorganismen erzeugt wurden. Bei den tierischen Produkten sind die Standards niedriger, erklärt Waltraud Fesser: „Die Fütterung mit gentechnisch verändertem Futter ist nur für einen bestimmten Zeitraum vor der Schlachtung untersagt. Futtermittelzutaten oder -zusatzstoffe dürfen ebenfalls mithilfe gentechnischer Verfahren gewonnen werden. Und dann gibt es noch die unvermeidbaren oder zufälligen Verunreinigungen, die bis zu 0,9 Prozent betragen dürfen.“ Ihr Fazit: „Im pflanzlichen Bereich ist das Siegel sicher, bei den tierischen Produkten muss der Verbraucher Zugeständnisse machen“.

Lisa Sonnenburgs Einkaufswagen ist inzwischen voll. Neben reichlich Obst und Gemüse hat sie sich für Brotaufstriche, Sojaschnitzel, Karamellwaffeln und Fruchtgummis entschieden. „Leider tragen nur wenige Produkte das V-Label und auf keinem ist das ohne Gentechnik-Zeichen drauf“, bemerkt sie. „Das finde ich schade, denn durch die Siegel kann ich mich darauf verlassen, was drin ist oder eben nicht.“ Sie hat auch ein paar Lebensmittel mit dem EU-Bio-Siegel eingepackt. Auch hier sind Zusatzstoffe erlaubt, allerdings nur rund 40 Stück. Gentechnik ist auf allen Herstellungsstufen ausgeschlossen. Und auch bei Aromen, Enzymen und Verarbeitungshilfsstoffen kann man sicher sein, dass auf Gentechnik verzichtet wurde.

Während der Kassierer die Produkte über die Kasse zieht bleibt festzuhalten: Wem Chemie oder Gentechnik Unbehagen bereiten, kann immer noch auf weniger verarbeitete Lebensmittel oder auf Bio-Produkte zurückgreifen. Doch Lisa Sonnenburg stöhnt: „Das ist schon ganz schön kompliziert mit den vielen verschiedenen Stoffen.“ Sie beschließt, sich noch kurz im Biergarten nebenan zu entspannen. „Immerhin unterliegt Bier dem Reinheitsgebot, und das gibt es schon seit 1516, vor jedem Bio-Siegel!“

Jenseits der Wassertoilette

Seitdem wir funktionierende Kanalisationen haben, benutzen wir die Wassertoilette wie selbstverständlich und spülen jeden Tag Wertstoffe das Klo hinunter. Wertstoffe deshalb, weil aus Urin und Fäkalien eigentlich hochwertiger Dünger und Humus gemacht werden kann. Auf der kroatischen Insel Mljet gibt es keine Kanalisation, dafür aber Kompost-Toiletten, die ohne Trinkwasser auskommen und zudem helfen, Nährstoffkreisläufe zu schließen.

Die Fähre legt an und es scheint als befänden wir uns jenseits der Zivilisation, denn die kroatische Insel Mljet begrüßt uns nicht mit zichfachen Cafés, Restaurants und Hotelanlagen, sondern mit dichtem Wald und kleinen, einspurigen Straßen. Fast 9 Stunden braucht die Autofähre von Split bis hier her. Die Insel ist so abgelegen, dass das Wasser nicht unterirdisch vom Festland kommt, sondern mit dem Schiff antransportiert werden muss. Die Tatsache, dass das Wasser knapp ist, hat ein paar Menschen dazu gebracht, in Sanitärfragen eine den Gegebenheiten angepasste aber nicht ganz neue Idee anzuwenden: Die Toilette ohne Wasserspülung.

Diese gab es schon in der Antike. Auch das Plumsklo, das man vielleicht noch aus dem einen oder anderen Dorf kennt, ist eine Kompost-Toilette, die ohne Wasser funktioniert. Allerdings entstehen bei dem gemeinsamen Sammeln von Urin und Kot unangenehme Gerüche, wenn es keine
Belüftung gibt.

In dem Ort Ropa übernachten wir auf dem einzigen Campingplatz der ganzen Insel. Die Kompost-Toiletten fallen eher nebenbei auf. Denn mit Schüssel und Klobrille sehen sie wie „ganz normale“ Toiletten aus. Nur der Spülkasten fehlt. Es gibt weder unangenehmen Gerüche, die an ein altmodisches Plumsklo erinnern noch irgendwelche chemischen Ausdünstungen, wie man sie aus Dixie-Klos kennt.

Kompost-Toiletten gibt es in unterschiedlichen Formen: Die einen trennen Urin und Exkremente schon im Vorfeld, in anderen wird alles gemeinsam gesammelt und kompostiert. Wieder andere Systeme kompostieren das Material an einem anderen Ort gleich in größeren Mengen.

Hier in Ropa landet alles zusammen in einem Behälter unterhalb der Toilette. Hört man genau hin, vernimmt man eine Lüftung. Der Klodeckel sollte geschlossen bleiben, damit der Luftzug unterhalb der Toilettenschüssel nicht gestört wird.
In dem großräumigen unterirdischen Behälter, den wir nicht sehen, zersetzen Bakterien unter Luftzufuhr das Material in Kohlendioxid und Wasser. Die Mikroorganismen „ernähren“ sich von dem organischen Material und das Volumen verkleinert sich nach 1 bis 2 Jahren um bis zu 90 Prozent. Außerdem entsteht Wärme, bis zu 40 Grad Celsius. Wiederum andere, krankheitsauslösende Bakterien, haben es unter diesen warmen, luftigen Bedingungen schwer und sterben ab. Deshalb ist es wichtig, dass die Ventilationsanlage läuft und
regelmäßig Sägespäne zugeführt werden. Die machen das Material nämlich luftdurchlässiger. „Wir hatten noch von niemandem Beschwerden.“, sagt Marina, die den Campingplatz mit ihrer Familie betreibt.

Das feste organische Material kann man nach den 1 bis 2 Jahren schließlich als Humus im Garten oder in der
Landwirtschaft verwenden. Humus verbessert die Bodenstruktur und macht den Boden fruchtbarer. Noch
wertvoller sind aber die flüssigen Bestandteile. Im Urin ist besonders viel Stickstoff enthalten, Dünger für die Pflanzen. Dieses „Düngerkonzentrat“ setzt sich unten ab und muss regelmäßig abgepumpt werden.
„Der Dünger ist ohne weiteres nutzbar, es hängt allein vom Besitzer ab. Das ist eine Frage der Kultur, denn wir sind alle daran gewöhnt, eine Toilette zu benutzen und danach die Spülung zu betätigen.“, sagt Stasa Puskaric, der die Komposttoiletten in Kroatien vertreibt. „Wir brauchen eine Veränderung der Denkweise. Die, die damit beginnen, akzeptieren es sehr schnell. In Ropa wird bisher nur die Flüssigkeit als Dünger benutzt, weil im Winter, wenn keine Touristen mehr kommen, der feste Anteil so gut wie verschwindet.“, sagt Puskaric.

Aber ist solch eine sanitäre Idee auch für Städte denkbar, wo sich Kanalisationen und Kläranlagen durchgesetzt haben? Immerhin wird in Kläranlagen oft das Gas Methan aus den Vergärungsprozessen der Exkremente als Energiequelle genutzt. Und Klärschlamm kann auch auf den Acker gebracht werden. Doch in der Kläranlage landen nicht nur menschliche Ausscheidungen, sondern auch Straßenabrieb und Schadstoffe, die sich in der Umwelt absetzen. Deshalb ist Klärschlamm oft schadstoffbelastet. Das Substrat aus der Öko-Toilette hingegen nicht. Puskaric würde auch in Städten gerne mehr Ökotoiletten sehen: „Die jetzige Nutzung ist einfach nicht nachhaltig. Trinkwasser mit Exkrementen zu mischen, das hat mit gesundem Verstand nichts mehr zu tun. Und dann müssen wir noch große Mengen an Energie und fossilen Brennstoffen aufwenden für den Transport und die Reinigung, und das Wasser wird trotzdem nicht mehr so sauber wie zuvor.“

Die meiste Energie benötigt die Kläranlage, um Luft in das Schmutzwasser zu pumpen, damit Mikroorganismen den wertvollen Stickstoff zersetzten. Der ist zwar auf den Feldern erwünscht, nicht aber in Flüssen und anderen Gewässern, die dadurch aus dem ökologischen Gleichgewicht geraten. Trotzdem hält Prof. Ralf Otterpohl es nicht für sinnvoll, Kompost-Toiletten, wie die in Ropa, in urbanen Gebieten
einzusetzen. Er beschäftigt sich an der an der TU Hamburg Harburg mit alternativen Sanitärkonzepten. „Die Toiletten nehmen mit dem Tank einen großen Raum ein, das kann auf dem Land sinnvoll sein, in dicht besiedelten Räumen eher weniger. Hier wäre eine großmaßstäbliche Kompostierung besser. Außerdem möchte sich nicht jeder mit der Hygienisierung, also der Pflege dieser Toiletten beschäftigen.“

Der Arbeitsaufwand ist zwar überschaubar aber nicht unbedingt beliebt. Das Material im Kompost-Behälter muss von
Zeit zu Zeit bewegt, die Flüssigkeit muss abgepumpt werden und täglich sollte man eine Hand voll Sägespäne sowie 2 bis 3 Liter Wasser zuführen.

Otterpohl stellt sich das System für eine Stadt etwas anders vor: „Die Toiletten haben die Größe von Campingtoiletten,
nehmen also nicht viel Platz ein. Dann könnte es lokale Betreibergesellschaften geben, die zum Beispiel einmal in der Woche zum Abpumpen kommen, und die die Kompostierung übernehmen. Danach könnte der Humus gezielt dorthin verteilt werden, wo er gebraucht wird.“

Strategien gegen Lebensmittelverschwendung

1/3 aller Lebensmittel landen weltweit auf dem Müll, so schätzt es die FAO, der Weltagrarorganisation. Klar, überall, wo etwas hergestellt und verbraucht wird, fällt auch Abfall an. Auf dem Acker, in der Lebensmittelindustrie, in den Supermärkten und zuletzt bei uns in den Haushalten. Das Fatale ist: Die meisten Reste könnte man ohne Weiteres nutzen. Deshalb gibt es auch Strategien gegen die Lebensmittelverschwendung. Die gemeinnützigen Tafeln bekommen noch essbare Lebensmittel aus Supermärkten und geben sie weiter an Bedürftige. Ein Forschungsprojekt versucht aus Karottenschalen Rosenaroma zu machen.



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Geplante Obsoleszenz - hergestellt um alsbald auf dem Müll zu landen

Geplante Obsoleszenz ist ein Terminus aus der Produktentwicklung. Gemeint ist, den Verschleiß oder die Veralterung eines Produktes im Hestellungsprozess bereits miteinzuplanen, einfach damit nach einer bestimmten Zeit wieder ein neues Produkt gekauft werden muss.
Mit Nachhaltigkeit hat diese Vorgehensweise nichts zu tun. Sie setzt auf kurzfristige Gewinne. Ein Blog, der sich dieses Themas annimmt ist murks-nein-danke.de; ich sprach mit Stefan Schridde, dem Betreiber des weblogs über geplante Obsoleszenz und wie er dagegen vorgehen möchte.


Chemie in Textilien

Die Greenpeace-Kampagne „Detox“ gegen gefährliche Chemikalien in der Textilproduktion hat Erfolg. Inzwischen haben sich Adidas, Nike, Puma und zuletzt H&M dazu verpflichtet, die Produktionsbedingungen in der Bekleidungsindustrie zu verbessern. Wie das im Detail aussehen soll, das ist noch offen. Die Unternehmen sind nun aufgefordert erste Aktionspläne vorzulegen.
Zu bemängeln ist vor allem der Chemikalieneinsatz in den Herstellungsländern. Verbraucher und Verbraucherinnen hierzulande sind den gefährlichen Stoffen in der Regel nur in Spuren ausgesetzt. Und es gibt Möglichkeiten, sich für ein sozial verträgliches und umweltfreundliches Produkt zu entscheiden.


Castorradio: Der Castor strahlt

In den Castor-Behältern befindet sich hochradioaktiver Müll. Ein ganzes Sammelsurium an unterschiedlichen chemischen Elementen ist da drin. Spaltprodukte aus dem ursprünglichen Uran, mit unterschiedlichen Halbwertzeiten und Eigenschaften. Die ionisierende Strahlung soll dadurch abgeschirmt werden, dass die Behälter 45cm dicke Außenwände haben. Doch auch mit Gusseisen mit Kugelgraphit gelingt das nicht vollständig.

Greenpeace Atomexperte Matthias Edler im Gespräch.


Castorradio: Der Lebenszyklus eines Brennelements

Zuerst wird das Brennelement hergestellt, strahlt in voller Pracht bis es in abgebranntem Zustand obsolet geworden ist.


Häuseranstriche gegen Luftverschmutzung – wie man mit neuartigen Oberflächen Luftschadstoffe eliminieren möchte

An vielbefahrenen Straßen können Grenzwerte für Schadstoffe in der Luft oft immer noch nicht eingehalten werden. Vor allem Feinstaub und Stickoxide sind das Problem. Nun versucht man mit neuartigen Oberflächenbeschichtungen die Schadstoffe zu binden.

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Feinstaub ist immer noch ein Problem, insbesondere in Großstädten. Er stammt hauptsächlich aus dem Verkehr und aus Feuerungsanlagen. In München gibt es sechs Messstellen, die regelmäßig die Schadstoffkonzentrationen in der Luft messen. Die Daten sind über die Internetseite des Umweltbundesamtes einsehbar. Eine dieser Stationen ist in der Landshuter Allee.
„Die Landshuter Allee, das ist unser Hot Spot, wo die Schadstoffbelastung am höchsten ist. Es werden hier seit rund 10 Jahren die Schadstoffe gemessen, wir machen schon gewisse Erfahrungen, dass die Schadstoffbelastung geringer geworden ist, aber wir können immer noch nicht die von der Europäischen Union vorgeschriebenen Grenzwerte einhalten.“, gibt
Joachim Lorenz, Referent für Gesundheit und Umwelt in München, zu.
Maßnahmen wie die Einführung einer Umweltzone, der Ausbau des öffentlichen Verkehrs und des Radwegenetzes und auch ein höherer Anteil an Fahrzeugen mit Rußfilter haben die Schadstoffgehalte zwar gesenkt, aber das reicht noch nicht.

Wenn man über Schadstoffe spricht, sind damit vor allem Stickoxide und Feinstaub gemeint. Stickoxide sind bedenklich, weil sie zur Entstehung von Ozon beitragen, ein Gas, das die Atemwege reizt. Feinstaub reizt die Atemwege auch und kann zudem das Risiko für Lungenkrebs und Herzinfarkte erhöhen. Prof. Erich Wichmann vom Helmholtzzentrum München untersucht die gesundheitlichen Folgen von Feinstaub. „Der Mensch ist sehr lange schon dem Staub ausgesetzt. Er hat auch Reinigungsmechanismen entwickelt, um diese Partikel wieder aus den Atemwegen herauszutransportieren. Aber zwei Dinge sind neu: Das eine sind die Verbrennungsprozesse. Das heißt hochtoxische und krebserzeugende Stoffe, die bei Verbrennungen insbesondere beim Auto und in der Industrie entstehen können, das ist bei natürlichen Partikeln anders. Und was auch neu ist, das sind diese sehr kleinen Partikel die eben nicht nur in die Atemwege gehen, sondern darüber hinaus in den Körper eindringen können, die gab es früher eben auch nicht.

Was wäre nun, wenn man spezielle Wandfarben, Asphaltmischungen oder Zement im Städtebau einsetzen könnte, die den Feinstaub verschwinden ließen? Hört sich ein bisschen an wie Zauberei. Allerdings gibt es tatsächlich ein Forschungsprojekt der EU, das versucht, sogenannte Photokatalysatoren in Häuserfronten, Tunnelanstrichen oder Straßenbelägen einzusetzen. Photokatalytische Reaktionen werden durch Licht ausgelöst. Die Schadstoffe sollen also durch Licht auf den Spezialoberflächen gebunden werden. Man erhofft sich damit sowohl die Feinstaubbelastung als auch die Stickoxidkonzentration zu reduzieren.
Prof. Hartmut Hermann vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung in Leipzig arbeitet mit in diesem Projekt. „Und zwar werden dazu Laboruntersuchungen durchgeführt, aber auch Messkampagnen in Städten. Die erste davon ist in Brüssel im Leopold 2 Tunnel durchgeführt worden und dort wurde in Kooperation mit einem italienischen Materialhersteller ein Tunnelsegment beschichtet auf einer Länge von 100 Metern und mit UV-Lampen ausgerüstet, um photokatalytisch luftgetragene Schadstoffe abzubauen.“

Den Feinstaub zu eliminieren gestaltet sich schwierig. Sind die Rußpartikel erst einmal in der Luft, so bleiben sie auch da. Lediglich Vorstufen des Feinstaubs könnten möglicherweise gebunden werden, so Hermann. Die neuartige Oberflächenbeschichtung soll aber vor allem die Stickoxide in ungefährlichere Stoffe umwandeln. Dabei kämen Salpertersäure und Nitrate heraus. Diese bleiben entweder an der Wand gebunden oder werden durch Regen abgewaschen, was allerdings eine Gefahr für Gewässer darstellen könnte.
Trotz dieser eher dämpfenden Aussichten soll es demnächst auch in München einen Versuch mit photokatalytischen Anstrichen geben. Zwei vergleichbare Messstellen sollen gegenübergestellt werden. An der einen soll der photokatalytische Anstrich aufgebracht werden, die andere soll als Referenz dienen. Joachim Lorenz betrachtet das Projekt allerdings eher skeptisch: „Man muss auch sehen, wie dieses Wort „photokatalytisch“ schon sagt, wir brauchen Licht dazu, deswegen müsste im Tunnel nochmals mit UV-Strahlung gearbeitet werden, die unmittelbar auf die Tunnelwand aufgebracht wird, damit überhaupt die Wirkung eintritt. Also es ist ein auch energetisch aufwendiges Projekt, was nicht nur Vorteile haben wird.“
Zudem muss die verschmutzte Luft direkt mit der Fassade oder dem Straßenbelag in Berührung kommen. Das ist bei den großen Luftmassen in der Regel kaum der Fall.

Das Forschungsprojekt, das noch bis 2013 läuft, wird vor allem durchgeführt, weil es inzwischen viele kommerzielle Anbieter dieser photokatalytischen Beschichtungen gibt. Sie haben ein Interesse an der Durchführung des Projekts. Es gilt also herauszufinden, wie wirksam diese neuartigen Oberflächen wirklich sind.

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